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Der Prinz auf Tour - Musikalische Stationen der Bildungsreise des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht (1715/16). Ein Gesprächskonzert

Am 22. November 2012 fand das Gesprächskonzert „Der Prinz auf Tour. Musikalische Stationen der Bildungsreise des bayerischen Kurprinzen Karl Albrecht (1715/16)“ statt. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Bayerischen Nationalmuseum in dessen Mars-Venus-Saal durchgeführt.

Eingangs begrüßte der Vorsitzende der Karl Graf Spreti Stiftung, Heinrich Graf von Spreti, die Gäste und Musiker und skizzierte die Ziele der Stiftung. Graf Spreti knüpfte dabei an die engen Beziehungen der Familie Spreti zum Haus der Wittelsbacher an, wie sie bereits im frühen 18. Jahrhundert bestanden hatten. So begleitete Hieronymus von Spreti den Kurprinzen als dessen Edelknabe nicht nur in dessen „Gefangenschaft“ nach Klagenfurt und Graz (1706–1715), sondern er war auch Teil des Hofstaats, der sich 1715 auf die Reise gen Italien machte.

Die Kavalierstour nach Italien war in der Frühen Neuzeit ein wichtiger Bestandteil der Erziehung deutscher Adeliger – so auch der kurbayerischen Prinzen im frühen 18. Jahrhundert. Kurprinz Karl Albrecht, der nachmalige Kaiser Karl VII., brach am 3. Dezember 1715 zu seiner Bildungsreise auf, die ihn von München über Salzburg und Innsbruck, über Verona und Venedig, nach Rom und Neapel führte. Ziel der Reise war es, Erlerntes unter Beweis zu stellen, adelige Manieren zu verfeinern, diplomatische Beziehungen zu stärken und dergestalt die eigenen dynastischen Interessen zu flankieren sowie die bedeutenden Stätten der Kunst und Kultur zu besichtigen. Papstaudienzen, Besuche bei Kardinälen und dem jeweiligen Stadtadel stellten die Höhepunkte der Reise dar.

Auffällig ist die große Fülle der Musik, die zu Ehren Karl Albrechts dargeboten wurde – und im Anschluss zumeist dem Vergessen anheimfiel. Anhand archivalischer Quellen (Diarien, Korrespondenz, zeitgenössische Periodika) ist es gelungen, die Musik zu rekonstruieren und wieder zum Klingen zu bringen. Ein begleitender Vortrag führte in den historischen Zusammenhang ein und erläuterte die Funktion der Musik am Schnittpunkt von Unterhaltung, Repräsentation und Politik an zahlreichen unterschiedlichen Stationen der Reise.

Der Abend im Mars-Venus-Saal des Bayerischen Nationalmuseums kombinierte den Vortrag mit Musik und zeitgenössischen Bildern. Diese waren z.T. dem prachtvollen Diarium des Bayerischen Nationalmuseums entnommen, das von Generaldirektorin Frau Dr. Eikelmann extra für die Veranstaltung ausgestellt wurde. – Hinsichtlich der Musik ist es gelungen, einzelne Stücke wieder zum Klingen zu bringen, die der Kurprinz nachweislich gehört hatte. Nur an einzelnen Stellen war es notwendig, auf musikalische Stellvertreter zurückzugreifen, wenn es in den Quellen beispielsweise lapidar hieß: Es wurde eine „musikalische Mess“, ein Ball oder eine Cantata gehalten. In anderen Fällen waren zwar Libretti oder Kantatentexte aufzufinden – nicht aber die dazugehörige Vertonung. Der Glücksfall war schließlich, wenn sowohl Texte als auch deren Vertonung zu identifizieren waren, die die musikalische erst Rekonstruktion ermöglichten.

Im Folgenden werden zwei der Reisestationen zum Nachvollzug des Abends exemplarisch beschrieben.

Chievo

Bevor Karl Albrecht in den Genuss des venezianischen Karnevals kam, hatte er eine wenig erfreuliche Zeit durchzustehen. Wie alle Reisenden, deren Ziel Venedig war, so war auch dem hohen Herrn von der Stadt eine 40-tägige Quarantäne vor ihren Toren auferlegt worden. Zu groß war die Sorge, dass schwerwiegende Krankheiten in die Adelsrepublik eingeschleppt würden. Sämtliche Bitten an den venezianischen Senat um Verkürzung dieser Zeit waren ins Leere gelaufen, selbst die Intervention seines Vaters Max Emanuel, immerhin eines berühmten Feldherrn und deutschen Kurfürsten, war an den republikanischen Überzeugungen abgeprallt – so dass Karl Albrecht sehr zum eigenen Missfallen zum „Gefangenen“ eines allerdings standesgemäßen Palasts in Chievo, dem Palazzo de Ferrari Mercante, wurde.
Besonders eindrücklich schildert ein kurzes Gedicht den Missmut des Prinzen. Das Poem entstammt mutmaßlich seiner eigenen Feder und ist einer prachtvollen Handschrift beigefügt, die heute im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher in München (BayHStA, GHA, Korrespondenzakten 718a) verwahrt wird.

Abschidts=Gedanckhen an das Contumacien=Hauß zu Chievo.

Du vorhöll dises Landts! Spittall=haus der gesunden! /
Du Rainigung der Pest, wo man sie kriegen kan, /
Du kerckher! Wo die Freud, und Unschuldt ligt gebunden, /
Des lebens überdrus! Der Seiffzer reiche Bann! /
Du Wüeste! Wo Wür seint schon Vierzig tag gesteckhet, /
Du Grueben Lazari! Wovon du würst genennt, /
Da Endlich dieser tag vom Todten Uns erweckhet, /
Raumb alles aus dem Weeg, was Unns den Pass verrennt /
Schlag deine Schranckhen weckh, umbschrenckhe deine Sorgen /
Von deren falschem Wahn die Freyheit leiden muß, /
Kein ybler Tropfen steckht im Teutschen Bluet verborgen, /
Stehl deine Vorsorg ein, und Unns auf freyen Fuß, /
Dann heut ist Nun nach Wunsch dieselbe Zeit verflossen, /
Die Wür auf dieser Welt im Fegfeur zugebracht; /
Da wür in deinem Loch kein guetten Tag genossen, /
Drum geb‘n wür dir iezt auch Ewig gutte Nacht.

Ganz so schrecklich aber kann die Vorhölle nicht gewesen sein. Die 40 Tage waren ausgefüllt mit der Lektüre italienischer Literatur, mit Spaziergängen im Garten, der offensichtlich so prächtig war, dass er auf der Zeichnung im Reisediarium erheblichen Raum einnahm, mit Theaterstücken und mit Kammermusik. Letztgenannte wurde – wie das folgende Zitat zeigt – dem Fürsten nicht nur dargeboten, sondern auch von ihm selbst gespielt, hatte Karl Albrecht doch während seiner „Gefangenschaft“ in Graz (1712–1715) im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges bei Wolff Jacob Lauffensteiner eine fundierte Ausbildung im Lautenspiel erhalten: „Nachmittags“, so heißt es in der Quelle, „nebst denen Hochwohlgeborenen Hof-Cavallieren mit einer Promenade in dem Garten, sodann vor dem Abendesßen mit einer Cammer=Music, wobey dieselbe [der Kurprinz] die Lauten geschlagen, divertiret.“

Venedig

Die Quarantäne endete mit 29. Januar 1716, dem Einzug in Venedig stand nichts mehr im Wege. An die sechs Wochen war die Stadt für Karl Albrecht unerreichbar gewesen. Doch rechtzeitig zum Karneval war die Quarantäne abgelaufen und der Kurprinz bereit für die Vorzüge des kulturellen Lebens der Lagunenstadt. Über einen Monat verbrachte er im Palazzo des Procuratore Pisani. Die Markusrepublik zeigte sich auffällig bemüht um den hohen Besuch und entsandte die Nobili Zacharia Canale, Almoro Giustiniani, Almoro Pisani und Almoro Grimani, deren Aufgabe es war, für das sogenannte „Corteggiare“ und für besondere zeremonielle Ereignisse zu sorgen. Die Tagebücher sind voll von Eintragungen über Opernvorstellungen, Bälle, Promenaden, Diners und Besuchen des Ridotto, einer Art neuzeitlichen Casinos, in dem vor allem Karten gespielt wurde. Sogar eine Regatta und eine Schiffstaufe waren zu Ehren des hohen Gastes organisiert worden. Über die große Bedeutung der Lustbarkeiten lässt auch die lokale Zeitung Pallade Veneta ihre Leser kaum im Zweifel: „Am selben Tag ist in dieser Stadt der Bayerische Kurprinz glücklich angekommen. Er wird von den 4 Nobili begleitet und wird die Unterhaltung der Theater und des großen Ridotto genießen. Einige Tage werden auch der Bewunderung der speziellen Sehenswürdigkeiten dieser Stadt gewidmet sein.“

Seit dem 17. Jahrhundert widmeten sich vier Ospedali der Stadt – die vier Waisenhäuser – der musikalischen Ausbildung von Kindern. Das berühmteste unter ihnen war das Ospedale della Pietà, das bis heute mit dem Namen Antonio Vivaldis verbunden ist. Der Kurprinz besuchte es am 5. März und wurde, wie dem Reisetagebuch zu entnehmen ist, aus diesem Anlass mit einem großen musikalischen Fest beschenkt. Glaubt man den zeitgenössischen Stimmen, so übertraf das 30 Mädchen umfassende Orchester alle anderen Musikensembles der Stadt. Viele der Violinkonzerte Vivaldis schrieb er seinen herausragenden Schülerinnen geradezu auf den Leib. Die Werke verlangten eine geigerische Virtuosität, die nicht nur Vivaldi zum Stern am Violinenhimmel, sondern den Besuch jenes Waisenhauses zur Pflicht jeden Venedig-Reisenden machte. Um einen klanglichen Eindruck hiervon abseits der wohlbekannten Stücke vermitteln zu können, wurde an dem Abend im Mars-Venus-Saal das Concerto per Archi in g-moll gegeben und musikhistorisch kommentiert.

Nicht weniger als 19 Besuche theatralischer Aufführungen sind anhand der Quellen für den einmonatigen Aufenthalt Karl Albrechts in der Lagunenstadt datierbar. Er hörte Opern von Antonio Lotti, Tomaso Albinoni, Carlo Francesco Pollarolo und Antonio Vivaldi. „L’amor di figlio non conosciuto“, eine Oper von Tomaso Albinoni, zu der Domenico Lalli den Text beisteuerte, wurde dem bayerischen Prinzen sogar explizit gewidmet und im Teatro Sant’Angelo aufgeführt. Leider sind zu dieser Oper keine Musikalien erhalten, lediglich aus dem Libretto wird die Widmung ersichtlich.

Titelblatt des Librettos "L'amor di figlio non conosciuto"

Am häufigsten sah die Stadt ihren berühmten Reisenden im Teatro San Giovanni Grisostomo. 1678 von der Familie Grimani gegründet, sollte es dem Adel zur Unterhaltung dienen. Ebendort wurde zu jener Zeit auch die Oper „Foca superbo“ aufgeführt. Die Oper wird gemeinhin Antonio Lotti zugeschrieben, dessen Karriere als Opernkomponist bereits 1693 begonnen hatte, aber erst zwischen 1706 und 1717 richtig Fahrt aufgenommen hatte. Allein in diesen Jahren konnte er 16 neue Opern in Venedig zur Aufführung bringen. „Foca superbo“ war das erste Werk, das in Zusammenarbeit mit dem Librettisten Antonio Maria Luchini entstand.

Aus der Oper wurden an dem Abend im Mars-Venus-Saal drei Arien aufgeführt, die mitten hinein führten in die fiktive Geschichte um den byzantinischen Kaiser Phocas: Nicht genug, dass der sich widerrechtlich zum Herrscher Griechenlands aufschwingen und damit Kaiser Otto II. seinen Besitz streitig machen will. Phocas will dem Sohn Ottos des Großen auch noch dessen Braut Onoria abspenstig machen. Mit einer List versucht er beides zu erreichen, wird aber schließlich von Otto überwältigt und muss sich ergeben. Dass auch die eingesponnene Liebesgeschichte von Otto und Onoria zu einem positiven Ende kommt, ist für eine Karnevalsoper wenig erstaunlich. Bemerkenswerter ist schon, dass hier thematisch ein Ost-West-Konflikt aufgegriffen wird, der auch für die zeitgenössische Situation des 18. Jahrhunderts mit dem abermaligen Vordringen der Türken relevant war.

Neben den Opernbesuchen stand das sogenannte „corteggiare“, das Hofieren des Prinzen, auf dem Programm: Die 4 Nobili waren erkennbar bemüht, Karl Albrecht die Besonderheiten Venedigs zu präsentieren. Die Besichtigung des Arsenals war unter den vorherrschenden politischen Umständen von besonderer Bedeutung, befand sich die Stadt doch gerade im Krieg mit den Türken, der auch für Karl Albrecht von Bedeutung werden sollte. Vorerst aber galt es für ihn, die Galeerenherstellung zu besichtigen und eine Schiffstaufe vorzunehmen. Das Tagebuch gibt hierüber Auskunft: „Nach einer kleinen ausrastung verfügten Sich seine Durchlaucht auf ein großes, und schön verfertigtes Kriegs-Schiff, welches in gegenwart Deroselben zu benedicieren“ – also zu segnen – „vorbehalten gewesen; als nun selbe mit Dero ganzen Gefolg hinaufgestiegen, auch dessen Einrichtung in augenschein genommen, finge die hierauf wartende clerisey mit Recitirung etlicher Psalmen die gewöhnliche Einsegnung vorzunehmen an, unter welcher Seine Durchlaucht ersuchet worden, diesem Schiff einen Nahmen zu geben, worauf also Dieselbe solchem den Nahmen Leone Triumphante gegeben.“ Dass der Löwe ebenso das Wappentier Bayerns wie das der Lagunenstadt war, ist sicherlich auch zeitgenössisch mit einem Augenzwinkern quittiert worden.

Gegen Ende des Aufenthalts von Karl Albrecht steigerten sich die Festlichkeiten noch einmal. Mit einer ihm eigens gewidmeten Regatta bot Venedig sein beliebtestes Festereignis auf, das auch im Volk großen Anklang fand. Während die privaten Gondeln der Vorschrift gemäß stets auf dieselbe Art gebaut und schwarz lackiert sein mussten, glänzten die Staatsbarken, also Schaufahrzeuge der Botschafter und des venezianischen Adels mit einem ganz besonderen Dekor. Außerdem traten insgesamt 47 Gondeln eine Wettfahrt an, deren Ziel auf Höhe des Palazzo Fóscari lag, wo die Triumphpforte mit dem kurbayerischen Wappen angebracht war. Diese hat offenkundig auch auf die bayerischen Besucher nachhaltig Eindruck gemacht, denn eines der Tagebücher hält in aller Ausführlichkeit deren äußere Gestalt fest. Vor allem die Grotte Neptuns, der mit seiner Linken gleichsam den Siegerpreis zu überreichen scheint, faszinierte den Verfasser nachdrücklich.

Bevor der Kurprinz seine Bildungsreise fortsetzte, ließ er sich natürlich auch die Glasproduktion in Murano nicht entgehen. Der Besuch wurde zu einem besonderen musikalischen Ereignis: Karl Albrecht wurde nach dem dazugehörigen Festmahl „alda auch des abends mit einer von dem Signore Pallaroli Componirten Serenade, und einem Bal, unterhalten“. Ausgewählte Teilnehmer des Essens konnten anhand einer beigefügten Liste rekonstruiert werden. Zentral platziert war natürlich Karl Albrecht, links neben ihm Elena Grimani, die aus einer der angesehensten Familien Venedigs stammte, ihm gegenüber 3 der 4 bereits erwähnten Nobili. Gerade solche Angaben sind hilfreich, um das persönliche Netzwerk des jungen Kurprinzen rekonstruieren zu können; daneben helfen hierbei die Aufzeichnungen über seine offiziellen Besuche bei dem kaiserlichen Botschafter Graf Colloredo, dem päpstlichen Nuntius und dem ebenfalls in Venedig weilenden sächsischen Kurprinzen Friedrich August II.

Am 11. März 1716 endete der Aufenthalt Karl Albrechts in der Lagunenstadt. Die Reise führte ihn im Anschluss über Loretto nach Rom und Neapel, noch einmal nach Rom und zurück über Florenz, Genua und den Lago Maggiore. Am 28. August 1716 traf der zukünftige Kurfürst und Kaiser wieder in München ein.

Bericht von Andrea und Jörg Zedler

Eine ausführlicher Beitrag von Andrea Zedler zur Musik jener Reise wird erscheinen in der Reihe „Musik und Adel im Rom des Sei- und Settecento“, hrsg. von Laurenz Luetteken und Klaus Pietschmann.

Eine Edition der Tagebücher ist inzwischen an der Universität Regensburg in Vorbereitung

Ausführende

Sopran: Iris Meyer
Dario Luisi, Musikalischer Leiter, Violine
Aliona Kalechyts, Violine
Clara Stadler-Wolffersgrün, Viola
Georg Kroneis, Violoncello
Konstanze Rieckh, Cembalo

Das Grazer Ensemble spielte auf Originalinstrumenten.

Vortrag: Mag. Andrea Zedler, MA & Dr. Jörg Zedler

Eine Veranstaltung der Karl Graf Spreti Stiftung in Kooperation mit dem Bayerischen Nationalmuseum, München

Bayerisches Nationalmuseum